Virtuelle Führung durch die Stephanuskirche
Seit Dezember 2021 bin ich Mitglied im Vorstand des Kirchbauvereins der Stephanuskirche, der sich für den physischen Erhalt der Kirche einsetzt und
sie zu einem Ort von Kultur und Teilhabe im Kiez machen möchte.
Daher werde ich zukünftig auch einige Veranstaltungen der Schönen Kiezmomente
im Jahr speziell für die Belebung dieses Ortes vorsehen.

Der fast 80 Meter hohe Turm dieser Kirche sticht richtiggehend aus dem Soldiner Kiez heraus.
Die Stephanus-Kirche hält einige Besonderheiten bereit, darunter ein vielfältiges Programm an Bildern und Statuen:
Es zeigt verschiedene Menschen, die sich auf die eine oder andere Weise um die Reform der Kirche, um Toleranz für die Vielfalt und um die Menschlichkeit verdient gemacht haben.
In Kirche steht die einzige Orgel der schlesischen Orgelbauer Schlag & Söhne, die in Berlin erhalten geblieben ist.
Außerdem hängt hier der größte Radleuchter Deutschlands.
Im Folgenden können Sie die virtuelle Führung durch die Stephanuskirche, Prinzenallee 39-40, 13359 Berlin erleben.
Vielen herzlichen Dank an Kerstin Kaie, die mich dabei mit Fotos unterstützt hat!
Viel Spaß und bleiben Sie gesund!
Diana Schaal
Die Stephanuskirche von außen

Die Stephanus-Kirche ist sozusagen die „Kirche im Dorf“ des Soldiner Kiezes.
Ihr Turm ist 76 m hoch und weithin sichtbar, so dass er als eine Art Wahrzeichen des Soldiner Kiezes gelten kann.
Die Kirche wurde als zweite Kirche der evangelischen Kirchengemeinde in Gesund-brunnen gebaut, da die Kirche St. Paul in der Badstraße für die wachsende Gemeinde zu klein geworden war.

Die letzte deutsche Kaiserin, Auguste Victoria, war Schirmherrin und aktives Mitglied des Evangelischen Kirchenbauvereins, den ihr Mann, Kaiser Wilhelm II. 1890 gegründet hatte.
Diese Organisation ermöglichte um die Jahrhundertwende den Bau von 38 neuen evangelischen Kirchen in Berlin. Und eine davon eben die Stephanuskirche. Die Kaiserin erhielt daher von der Berliner Bevölkerung den Spitznamen „Kirchenjuste“.
Die Grundsteinlegung der Stephanuskirche fand 1902 statt.
Eingeweiht wurde sie im Jahr 1904 eingeweiht – in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. Seine Frau konnte nicht dabei sein, weil ihre Tochter krank geworden war.

Die Kirche ist ein neo-gotischer Backstein-Bau und wurde nach den Plänen von Baurat Adolf Bürkner errichtet.
Zu diesem Stil gehört z.B. dieser spitzwinklig hochgezogene Ziergiebel über dem Hauptportal.
Links neben das Portal angeklebt ist das vierstöckige Gemeindehaus. Es besitzt ein achteckiges Treppenhaus-türmchen, das zu Gemeindesälen und zur Empore führt.
Die Innenausstattung der Kirche wartet mit einigen unerwarteten Schätzen auf.
Der Kronleuchter
Der Wilmersdorfer Kunstschlosser Paul Golde hat diesen Kronleuchter nach dem Vorbild eines mittelalterlichen Radleuchters gestaltet.

Gekostet hat der Leuchter um 1904 die Summe von 2.600 Goldmark – das sind umgerechnet rund 13.400 Euro.
Er ist aus Bronze, umfasst 100 Lampen, hat einen Durchmesser von 8 m und wiegt mehr als 30 Zentner - also über 1.500 kg!
Aufgehängt ist er an einem doppelt gesicherten Flaschenzug.
Er wurde in Einzelteilen in die Kirche gebracht und dort zusammenmontiert.
Der Kronleuchter ist vermutlich der größte noch erhaltene Rundleuchter in Deutschland.
Taufbecken und Kanzel


Links vor dem Altar steht das Taufbecken.
Oben auf der Säule am Taufbecken steht Paulus mit dem Schwert, mit dem er hingerichtet wurde.

Rechts oben vor dem Altar befindet sich die Kanzel.
Altar, Taufstein und Kanzel gehen ebenfalls auf den Entwurf von Adolf Bürkners zurück.
Bewohner/innen des Stadtteils Gesundbrunnen haben alle drei gestiftet.
Diese wertvolle neo-gotische Ausstattung wurde im Zweiten Weltkrieg nur wenig beschädigt.

Oben auf der Säule an der Kanzel steht Petrus mit dem Schlüssel zum Himmel in der linken Hand..
Bei einem Luftangriff im Zweiten Weltkrieg fiel der Statue des Petrus der Kopf herunter.
Er blieb jedoch erhalten und konnte ihm bei der Renovierung der Kirche 1958 wieder aufgesetzt werden.
Altar

Auf dem Altar steht eine Christusfigur vor einer neo-gotischen Bogennische.
Sie ist der Christusfigur des dänischen Bildhauers Bertel Thorwaldsen nachgebildet, die dieser 1839 für die Kopenhagener Frauenkirche geschaffen hat.
Dieser sog. Segnende Christus gehörte im 19. Jh. zu den am meisten kopierten Statuen und ist auch häufig auf Friedhöfen zu finden.
Er lässt an das Christuswort denken:
„Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“
Chor
Das Mittelfenster aus Glas
Durch die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg wurden sämtliche bleiverglasten Kirchenfenster zerstört. Dazu gehörte auch das Mittelfenster hinter dem Altar.
Es zeigte ein farbenprächtiges Bild der Steinigung des Heiligen Stephanus.
An dieser Stelle wird es Zeit, einige Worte zum Namenspatron der Kirche zu sagen.

Stephanus ist der erste bekannte christliche Märtyrer.
Die christliche Urgemeinde in Jerusalem hatte 7 Diakone gewählt, zu denen auch Stephanus gehörte.
Er lebte von 1 n. Chr. bis ca. 40 n. Chr.
Einige Juden hatten behauptet, Jesus von Nazareth wolle den Tempel zerstören und die jüdischen Bräuche ändern.
Der jüdische Hohepriester konfrontierte Stephanus mit diesen Behauptungen und fragte: „Stimmt das?“
Darauf antworte Stephanus mit der längsten Rede der ganzen Apostelgeschichte. Er beendete seine Rede mit den Worten:
„Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.“
Die Mitglieder des Hohen Rates von Jerusalem waren so erbost darüber, dass Stephanus es wagen konnte, Jesus mit dem Messias gleichzusetzen, dass sie ihn packten und vor der Stadt steinigten.
Die Blendfenster im Chor
Unter den drei Fenstern des Chores sieht man teilweise bemalte Blendfenster.
Bei den großen Instandsetzungsarbeiten in der Nachkriegszeit bis 1958 gingen die insgesamt 9 Bilder verloren. Sie wurden einfach überstrichen, obwohl man sie hätte restaurieren können. Die Kirchengemeinde möchte alle Bilder nach und nach wieder restaurieren.
Die Blendfenster auf der linken Seite des Chores zeigten ursprünglich von links nach rechts drei weitere christliche Märtyrer.

war Bischof von Antiochien – heute Antakya in der Türkei – und stand in der Nachfolge des Apostels Simon Petrus.
Während der Regierungszeit des römischen Kaisers Trajan (98 – 117) wurde verhaftet, nach Rom gebracht und dort im Circus Maximus von Löwen zerrissen.
Das Blendfenster mit seinem Bild ist nicht erhalten.

Petrus Waldus († vor 1218)
war ein reicher Kaufmann aus Lyon, der während einer Hungersnot in seiner Stadt Armenspeisungen organisierte und daraufhin ein Leben in freiwilliger Armut führte.
Er und seine Anhänger wurden die “Armen von Lyon“ genannt.
Zwar hatte sich Waldus 1179 von Papst Alexander III. eine offizielle Erlaubnis zum Predigen geben lassen. Aber der Papst hatte sie von der Genehmigung des Erzbischofs von Lyon abhängig gemacht.
Der nächste Erzbischof entzog Waldus diese Genehmigung wieder.
1183 wurde Waldus durch den Erzbischof aus der Kirche ausgeschlossen und mit seinen Anhängern, den Waldensern aus Lyon vertrieben. Die Waldenser wurden ebenfalls als Ketzer verfolgt.
Das Blendfenster mit Waldus' Bild wurde 2004 restauriert.

Ulrich
Zwingli (1484 – 1531)
war ein Schweizer Reformator und ein Gegner des Fastens in der katholischen Kirche.
Zusammen mit einem anderen Schweizer Reformator übersetzte er die Bibel in die eidgenössische Kanzleisprache – die sog. Zürcher Bibel.
Beim Schweizer Religionskrieg wurde Zwingli 1531 von den katholischen Innerschweizern gefangen, getötet, gevierteilt und die Reste verbrannt und in den Wind gestreut.
Das Blendfenster mit seinem Bild ist nicht erhalten.
Die drei mittleren Blendfenster des Chores zeigten ursprünglich von links nach rechts drei Landesherren, die sich um verfolgte Protestanten bzw. um den Protestantismus als solchen verdient gemacht haben.
Das mittlere
Blendfenster zeigt König Gustav Adolf II. von Schweden
(1594 – 1632).
Im Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 drohten die Truppen des katholischen römischen Reichs Deutscher Nation unter Feldherr Wallenstein die lutherisch-protestantischen Länder zu besiegen.

Aber dann kam König Gustav Adolf von Schweden!
Mit seiner über 53.000 Mann starken Armee, leichten Rüstungen, Musketen und einer Artillerie aus beweglichen Kanonen verhinderte der Schwedenkönig einen Sieg der katholischen Truppen.
Damit sicherte er die Existenz des deutschen Protestantismus.
Das Blendfenster mit seinem Bild wurde bereits 1968 restauriert.

Im linken Blendfenster war ursprünglich Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620 – 1688) zu sehen. Er trägt auch den Beinamen „Großer Kurfürst“.
1685 bot der Kurfürst mit seinem Edikt von Potsdam den in Frankreich verfolgten Hugenott/innen in Berlin und Brandenburg eine neue Heimat.
Er war übrigens selbst ein Anhänger von Johannes Calvin.
Das Blendfenster mit seinem Bild ist nicht erhalten.

Im rechten Blendfenster war ursprünglich König Friedrich Wilhelm I. von Preußen (1688 – 1740) zu sehen. Er trägt auch den Beinamen „Soldatenkönig“.
1732 hat er Protestant/innen aus Salzburg aufgenommen, die der katholische Erz-bischof des Landes verwiesen hatte.
Im selben Jahr nahm der König Protestant/innen aus dem katholisch beherrschten Königreich Böhmen auf und siedelte sie in
Böhmisch-Rixdorf an.
Das Blendfenster mit seinem Bild ist nicht erhalten.
Die drei rechten Blendfenster des Chores zeigen drei Männer, die sich um christliche Sozialarbeit verdient gemacht haben.

Im linken Blendfenster
war früher ein Bild des Pietisten August Hermann Francke
(1663 – 1727) zu sehen.
Er begann 1698 in Halle mit der Gründung eines Waisenhauses, der innerhalb von 30 Jahren Schulen, Werkstätten, Wohngebäude, Gärten, Apotheke und Krankenhaus folgten.
Es entstand eine Siedlung mit bis zu 2.500 Bewohner/innen, die schließlich zu den Franckeschen Stiftungen wurden.
Das Blendfenster mit seinem Bild ist nicht erhalten.

Im mittleren Blendfenster sieht man den Pionier der Krankenpflege Theodor Fliedner (1800 – 1864). Er war der Sohn eines Pfarrers und folgte beruflich den Fußstapfen seines Vaters.
Anfang des 19. Jh. gab es in Kranken-häusern fast nur Wärter/innen, aber kaum medizinische Pflegekräfte.
1836 gründete Fliedner daher eine „Bildungsanstalt für evangelische Pflegerinnen“.
Als erste evangelische Diakonissen-anstalt betreute sie ein Krankenhaus.
Fliedners Arbeit beeinflusste Florence Nightingale.
Das Blendfenster mit seinem Bild wurde 2004 restauriert.

Im rechten Blendfenster ist Johann Hinrich Wichern (1808 – 1881) zu sehen.
Dieser Hamburger Theologe hat das sog. Rauhe Haus gegründet, wo er Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen aufnahm und für ihre Ausbildung sorgte.
Im Hamburger Rauhen Haus hing auch der erste Adventskranz, als dessen Erfinder Wichern gilt.
1848 gründete Wichern in Hamburg die erste deutsche Stadtmission – eine wichtige Anlaufstelle für Haftentlassene, Arbeits- und Obdachlose sowie für alleinstehende Frauen zum Schutz vor der Prostitution. Es gibt sie heute noch.
Das Blendfenster mit seinem Bild wurde ebenfalls 2004 restauriert.
Die Orgel

Die Stephanus-Kirche hat immer noch die Original-Orgel, die hier 1904 eingebaut worden ist. Sie hat rund 15.500 Goldmark gekostet – das sind umgerechnet über 80.000 Euro.
Das Instrument stammt von der Orgelbaufirma Schlag & Söhne in Schlesien und war vor dem Einbau bereits auf der Ausstellung für Handwerk und Kunstgewerbe in Breslau gezeigt worden.
Es ist die einzige Orgel, die in Berlin von dieser Firma noch erhalten ist.
Deshalb steht sich auch unter Denkmalschutz.
Die Orgel hat drei Manuale und 41 Register.
1971 hat man sie mit einer elektrischen Tastatur ausgestattet.
Die Statuen auf den Säulen
Die 6 Säulen des Zentralraums tragen lebensgroße Statuen, die der Bildhauer Edmund Wende geschaffen hat. Paulus beim Taufbecken und Petrus bei der Kanzel haben wir bereits gesehen. Schauen wir uns die restliche 4 Statuen an.

Auf der altarnahen Säule am linken Fenster sieht man die Statue des frühen böhmischen Reformators Jan Hus (um 1370 – 1415).
Der Theologe trat für die Gewissens-freiheit ein und sah in der Bibel die einzige Autorität in Glaubensfragen, im Gegensatz zur Doktrin der katholischen Kirche, dass der Papst die letzte Instanz bei Glaubensentscheidungen sei.
1408 hat ihm der Prager Erzbischof das Predigen verboten.
Durch eine päpstliche Bulle wurde Hus aus der Kirche ausgeschlossen und aus der Stadt Prag aus gewiesen. Hus hat dann an einer Übersetzung der Bibel ins Tschechische mitgearbeitet.
Deshalb trägt seine Statue auch eine Bibel in der Hand.
1414 begann auf Betreiben von König Sigismund und Papst Johannes XXIII. das Konzil von Konstanz. Dort sollte über Reformen der katholischen Kirche gesprochen werden. König Sigismund sicherte Hus freies Geleit für Hin- und Rückreise zu, und der Papst hob den Kirchenbann gegen Hus auf. Trotzdem wurde Hus in Konstanz monatelang und teilweise unter üblen Bedingungen eingekerkert!

Das Konzil verlangte von Hus den öffentlichen Widerruf und die Abschwörung seiner Lehren. Hus lehnte das ab und blieb standhaft. Er wurde als Ketzer zum Feuertod verurteilt und zusammen mit seinen Schriften verbrannt.
In seinem Abschiedsbrief hatte Hus an seine Freunde geschrieben:
„Das aber erfüllt mich mit Freude, daß sie meine Bücher doch haben lesen müssen, worin ihre Bosheit geoffenbart wird. Ich weiß auch, daß sie meine Schriften fleißiger gelesen haben als die Heilige Schrift, weil sie in ihnen Irrlehren zu finden wünschten.“

Gegenüber auf der altarnahen Säule am rechten Fenster steht die Statue des Heiligen Bonifatius.
Er lebte von 673 – 755 und missionierte die heidnischen Germanen.

Auf der Säule am rechten Fenster in der Nähe des Ein-gangs steht die Statue des wichtigsten Reformators in Deutschland – Martin Luther (1483 – 1546).
Vor allem der Ablasshandel – also Sünden-vergebung gegen Geld – war ihm ein Dorn im Auge.
Luther war auch gegen das Zölibat, denn er fand, eine Pfarrersfrau könne durchaus wichtige Aufgaben in einer Kirchengemeinde übernehmen. Er als ehemaliger Mönch heiratete eine ehemalige Nonne, Katharina von Bora. Sie wurde damit die erste Pfarrersfrau in der Geschichte der christlichen Kirche.
Auch Martin Luther trägt wie sein Kollege Jan Hus in der Hand eine Bibel, die er von 1521 bis 1522 auf der Wartburg ins Deutsche übersetzt hat.

Auf der gegenüberliegenden Säule am Fenster auf der linken Seite steht die Statue des Religionsphilosophen Friedrich Schleier-macher (1768 – 1834)
Er gilt als der „Kirchenvater des 19. Jahr-hunderts“.
Die heutige Nutzung der Stephanuskirche