Virtuelle Führung durch die Stephanuskirche
Seit Dezember 2021 bin ich Mitglied im Vorstand des Kirchbauvereins der Stephanuskirche, der sich für den physischen Erhalt der Kirche einsetzt und
sie zu einem Ort von Kultur und Teilhabe im Kiez machen möchte.
Seit vielen Jahren führe ich Veranstaltungen zur Belebung dieses Ortes durch:
Kirchenführungen, 2021 einen Lichtbild-Vortrag zu Marienkirchen in Berlin, 2023 einen Lichtbild-Vortrag über die Beginen als Alternative zum Kloster für Frauen im Mittelalter sowie 2023 das
Reformatorische Zwingli-Wurstessen mit live Renaissance-Musik im Wichernsaal. Das Portrait von Reformator Ulrich Zwingli befand sich einst im Chor der Kirche.
Außerdem arbeite ich mit in der Initiative Denkmal Stephanuskirche, die im Herbst 2024 eine Ausstellung anlässlich des 120-Jährigen Bestehens der Kirche mit Begleitprogramm präsentiert hat. Hier habe ich im Rahmenprogramm einen Lichbild-Vortrag zur Kirchenjuste (Kaiserin Auguste Victoria als Schirmherrin der Stephanus-kirche) und einen Lichtbild-Vortrag über Bonifatius und die Christianisierung der Germanen gehalten. Bonifatius' Statue steht in der Kirche.
Diana Schaal
Der fast 80 Meter hohe Turm dieser Kirche sticht richtiggehend aus dem Soldiner Kiez heraus.
Die Stephanuskirche hält einige Besonderheiten bereit, darunter ein vielfältiges Programm an Bildern und Statuen:
Es zeigt verschiedene Menschen, die sich auf die eine oder andere Weise um die Reform der Kirche, um Toleranz für die Vielfalt und um die Menschlichkeit verdient gemacht haben.
In Kirche steht die einzige Orgel der schlesischen Orgelbauer Schlag & Söhne, die in Berlin erhalten geblieben ist.
Außerdem hängt hier der größte Radleuchter Deutschlands.
Im Folgenden können Sie die virtuelle Führung durch die Stephanuskirche, Prinzenallee 39-40, 13359 Berlin erleben.
Vielen herzlichen Dank an Kerstin Kaie, die mich dabei mit Fotos unterstützt hat!
Viel Spaß!
Diana Schaal
Die Stephanuskirche von außen
Die Stephanus-Kirche ist sozusagen die „Kirche im Dorf“ des Soldiner Kiezes.
Ihr Turm ist 76 m hoch und weithin sichtbar, so dass er als eine Art Wahrzeichen des Soldiner Kiezes gelten kann.
Die Kirche wurde als zweite Kirche der evangelischen Kirchengemeinde in Gesund-brunnen gebaut, da die Kirche St. Paul in der Badstraße für die wachsende Gemeinde zu klein geworden war.
Die letzte deutsche Kaiserin, Auguste Victoria, war Schirmherrin und aktives Mitglied des Evangelischen Kirchenbauvereins, der 1890 ins Lebens gerufen wurde.
Diese Organisation ermöglichte um die Jahr-hundertwende den Bau von mindestens 38 neuen evangelischen Kirchen in Berlin. Und eine davon eben die Stephanuskirche. Die Kaiserin erhielt daher von der Berliner Bevölkerung den Spitz-namen „Kirchenjuste“.
Die Grundsteinlegung der Stephanuskirche fand 1902 statt.
Eingeweiht wurde sie im Jahr 1904 – in Anwesenheit von
Kaiser Wilhelm II.
Seine Frau konnte nicht dabei sein, weil ihre Tochter krank geworden war.
Die Kirche ist ein neogotischer Backsteinbau und wurde nach den Plänen von Baurat Adolf Bürckner errichtet.
Zu diesem Stil gehört z.B. dieser spitzwinklig hoch-gezogene Ziergiebel über dem Hauptportal.
Links neben das Portal angeklebt ist das vierstöckige Gemeindehaus. Es besitzt ein achteckiges Treppen-haustürmchen, das zu Gemeindesälen und zur Empore führt.
Einen kurzen Rundblick per Video in die Stephanuskirche finden Sie hier.
Die Innenausstattung der Kirche wartet mit einigen unerwarteten Schätzen auf.
Der Kronleuchter
Der Wilmersdorfer Kunstschlosser Paul Golde hat diesen Kronleuchter nach dem Vorbild eines mittelalterlichen Radleuchters gestaltet.
Gekostet hat der Leuchter um 1904 die Summe von 2.600 Goldmark – das sind umgerechnet rund 13.400 Euro.
Er ist aus Bronze, umfasst 100 Lampen, hat einen Durchmesser von 8 m und wiegt mehr als 30 Zentner - also über 1.500 kg!
Aufgehängt ist er an einem doppelt gesicherten Flaschenzug.
Er wurde in Einzelteilen in die Kirche gebracht und dort zusammenmontiert.
Der Kronleuchter ist vermutlich der größte noch erhaltene Rundleuchter in Deutschland.
Taufbecken und Kanzel
Links vor dem Altar steht das Taufbecken. Es trägt am oberen Rand die Inschrift: "Lasset die Kinder zu mir kommen."
Oben auf der Säule am Taufbecken steht Paulus mit dem Schwert, mit dem er hingerichtet wurde.
Rechts oben vor dem Altar befindet sich die Kanzel.
Altar, Taufstein und Kanzel gehen ebenfalls auf den Entwurf von Adolf Bürckners zurück.
Wohlhabende Bewohner/innen des Stadtteils Gesundbrunnen haben alle drei gestiftet.
Für den Altar und die Kanzel hat Paul Hjarup, der damalige Besitzer der Zünd-holzmaschinenfabrik Roller, jeweils eine größere Spende getätigt.
In den ehemaligen Fabrikgebäuden befindet sich heute das Nachbar-schaftzentrum Fabrik Osloer Straße mit dem Kindermuseum Labyrinth.
Diese wertvolle neo-gotische Ausstattung der Stephanuskirche wurde im Zweiten Weltkrieg nur wenig beschädigt.
Oben auf der Säule an der Kanzel steht Petrus mit dem Schlüssel zum Himmel in der linken Hand..
Bei einem Luftangriff im Zweiten Weltkrieg fiel dem Petrus der Kopf runter.
Er blieb jedoch erhalten und konnte ihm bei der Renovierung der Kirche 1958 wieder aufgesetzt werden.
Altar
Auf dem Altar steht eine Christusfigur vor einer neo-gotischen Bogennische.
Sie ist der Christusfigur des dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen nachgebildet, die dieser 1838 für die Kopenhagener Frauenkirche geschaffen hat.
Dieser sog. Segnende Christus gehörte im 19. Jh. zu den am meisten kopierten Statuen und ist auch häufig auf Friedhöfen zu finden.
Er lässt an das Christuswort denken:
„Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“
Chor
Das Altarfenster aus Glas
Durch die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg wurden sämtliche bleiverglasten Kirchenfenster zerstört. Dazu gehörte auch das Mittelfenster hinter dem Altar.
Es zeigte ein farbenprächtiges Bild der Steinigung des Heiligen Stephanus.
Dieses Foto vom Inneren der Stephanuskirche um 1910 zeigt das Altarfenster.
Über dem Christus ist der dunkelrote Mantel des Stephanus zu erkennen.
An dieser Stelle wird es Zeit, einige Worte zum Namenspatron der Kirche zu sagen.
Stephanus ist der erste bekannte christliche Märtyrer.
Die christliche Urgemeinde in Jerusalem hatte 7 Diakone gewählt, zu denen auch Stephanus gehörte. Er lebte von 1 n. Chr. bis ca. 40 n. Chr.
Einige Juden hatten behauptet, Jesus von Nazareth wolle den Tempel zerstören und die jüdischen Bräuche ändern.
Der jüdische Hohepriester konfrontierte Stephanus mit diesen Behauptungen und fragte: „Stimmt das?“
Darauf antworte Stephanus mit der längsten Rede der ganzen Apostelgeschichte.
Er beendete seine Rede mit den Worten:
„Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.“
Die Mitglieder des Hohen Rates von Jerusalem waren so erbost darüber, dass Stephanus es wagen konnte, Jesus mit dem Messias gleichzusetzen, dass sie ihn packten und vor der Stadt steinigten. Stellvertretend für die Darstellung im zerstörten Altarfenster wurde hier das Gemälde von Giorgio Vasari ausgewählt.
Stephanus hatte sich in der christlichen Urgemeinde Jerusalems um die Armen und besonders um die Witwen und Waisen gekümmert.
Deshalb wählte
Kaiserin Auguste Victoria ihn als Namenspatron für die Kirche aus.
Ihr war dabei bewußt, dass sich die neue Kirche in einem Arbeiterkiez befindet.
Die Blendfenster im Chor
Unter den drei Fenstern des Chores sieht man teilweise bemalte Blendfenster.
Bei den großen Instandsetzungsarbeiten in der Nachkriegszeit bis 1958 gingen die insgesamt 9 Bilder verloren. Sie wurden einfach überstrichen, obwohl man sie hätte restaurieren können. Die Kirchengemeinde möchte alle Bilder nach und nach wieder restaurieren.
Die Blendfenster auf
der linken Seite des Chores zeigten ursprünglich von links nach rechts drei weitere christliche Märtyrer,
von denen zwei auch als Reformer gesehen werden können.
war Bischof von Antiochien – heute Antakya in der Türkei – und stand in der Nachfolge des Apostels Simon Petrus.
Ignatius von Antiochien vertrat schon sehr früh die Vorstellung einer hierarchischen Kirche, wo die Laien der Priesterschaft zu gehorchen hatten.
Während der Regierungszeit des römischen Kaisers Trajan (98 – 117) wurde Ignatius von Antiochien verhaftet, nach Rom gebracht und dort im Circus Maximus von Löwen zerrissen.
Sein Portrait im Blendfenster ist nicht erhalten.
Stellvertretend wurde dieses anonyme Gemälde von 1486 ausgewählt.
Petrus Waldus († vor 1218)
war der Sohn eines reichen Kaufmanns im südfranzösischen Lyon.
Bereits ab 1170 beauftragte er einen Priester mit der Übersetzung der Bibel aus dem Lateinischen in die Landessprache.
In der Hungersnot von 1177 organisierte er im Gebiet von Lyon öffentliche Armen-speisungen und Lesungen aus der Bibel.
Petrus Waldus und seine Anhänger, die „Armen von Lyon“ oder „Waldenser“, lebten als Wanderprediger freiwillig in Armut.
Sie bestanden darauf, dass auch Laien das Evangelium verkünden dürfen, und nicht nur Pfarrer.
Zwar hatte Petrus Waldus 1179 von Papst Alexander III. eine offizielle Erlaubnis zum Predigen bekommen.
Doch der Papst hatte diese Erlaubnis von der Genehmigung des Erzbischofs von Lyon abhängig gemacht. Der nächste Erzbischof entzog Petrus Waldus diese Genehmigung wieder.
1183 wurde er durch den Erzbischof als Ketzer aus der Kirche ausgeschlossen und mit seinen Anhängern aus Lyon vertrieben. Die Waldenser wurden ebenfalls als Ketzer verfolgt.
Petrus Waldus' Portrait im Blendfester wurde 2004 restauriert.
Ulrich
Zwingli (1484 – 1531)
war ein Schweizer Reformator und ein Gegner des Fastens in der katholischen Kirche.
Mit Ulrich Zwinglis Schrift gegen das Fasten und dem sog. Züricher Wurstessen während der Fastenzeit 1522 begann in der Schweiz die Reformation.
Zusammen mit einem anderen Schweizer Reformator übersetzte Ulrich Zwingli die Bibel in die eid-genössische Kanzleisprache – die sog. Zürcher Bibel.
1529 erschien sie als erste deutschsprachige Bibel, die vollständig aus den Originalsprachen Latein, Altgriechisch und Hebräisch übersetzt worden war.
Im Schweizer Religionskrieg wurde der Reformator 1531 von den katholischen Innerschweizern gefangen, getötet und, gevierteilt. Seine sterblichen Überreste wurden verbrannt und in den Wind gestreut.
Ulrich Zwinglis Portrait im Blendfenster ist nicht erhalten.
Stellvertretend wurde dieses Gemälde von Hans Asper (1549) ausgewählt.
Die drei mittleren Blendfenster des Chores zeigten ursprünglich von links nach rechts drei Landesherren, die sich um verfolgte Protestant/innen bzw. um den Protestantismus als solchen verdient gemacht haben.
Das mittlere
Blendfenster zeigt König Gustav Adolf II. von Schweden
(1594 – 1632).
Im Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 drohten die Truppen des katholischen römischen Reichs Deutscher Nation unter Feldherr Wallenstein die lutherisch-protestantischen Länder zu besiegen.
Aber dann kam König Gustav Adolf von Schweden!
Mit seiner über 53.000 Mann starken Armee, leichten Rüstungen, Musketen und einer Artillerie aus beweglichen Kanonen verhinderte der Schwedenkönig einen Sieg der katholischen Truppen.
Damit sicherte er die Existenz des deutschen Protestantismus.
König Gustav Adolfs Portrait im Blend-fenster wurde bereits 1968 restauriert.
Im linken Blendfenster war ursprünglich
Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620 – 1688) zu sehen. Er trägt auch den Beinamen „Großer Kurfürst“.
1685 bot der Kurfürst mit seinem Edikt von Potsdam ca. 20.000 in
Frankreich verfolgten Hugenott/innen
in Berlin und Brandenburg eine neue Heimat. 5.000 davon kamen nach
Berlin.
Der Große Kurfürst war übrigens selbst ein Anhänger des Reformators Johannes Calvin.
Das Portrait des Großen Kurfürsten im Blendfenster ist nicht erhalten.
Stellvertretend wurde hier der zeitgenös-sische Kupferstich von Samuel Biesendorf ausgewählt.
Im rechten Blendfenster war ursprünglich König Friedrich Wilhelm I. in Preußen (1688 – 1740) zu sehen. Er trägt auch den Beinamen „Soldatenkönig“.
1732 nahm er ca. 20.000 Protestant/innen aus Salzburg auf, die der katholische Erz-bischof des Landes verwiesen hatte. Sie
wurden im Osten des damaligen Preußen angesiedelt.
1737 nahm der König 350 Protestant/innen aus dem katholisch beherrschten König-reich Böhmen auf und siedelte sie in
Böhmisch-Rixdorf an - heute ein Teil von Neukölln..
Das Portrait des Königs im Blendfenster ist nicht erhalten.
Stellvertretend wurde hier dieses
Gemälde von Antoine Pesne (um 1733) ausgewählt.
Die drei rechten Blendfenster des Chores zeigen drei Männer, die sich um christliche Sozialarbeit verdient gemacht haben.
Im linken Blendfenster
war früher ein Bild des Pietisten August Hermann Francke
(1663 – 1727) zu sehen.
Er begann 1698 in Halle mit der Gründung eines Waisenhauses, dem innerhalb von 30 Jahren Schulen, Werkstätten, Wohngebäude, Gärten, Apotheke und Krankenhaus folgten.
Es entstand eine Siedlung mit bis zu 2.500 Bewohner/innen, die schließlich zu den Franckeschen Stiftungen wurden.
August Hermann Franckes Portrait im Blendfenster ist nicht erhalten.
Stellvertretend wurde hier dieses anonyme Ölgemälde von 1750 ausgewählt.
Im mittleren Blendfenster sieht man den Pionier der Krankenpflege Theodor Fliedner (1800 – 1864). Er war der Sohn eines Pfarrers und folgte beruflich den Fußstapfen seines Vaters.
Anfang des 19. Jh. gab es in Kranken-häusern fast nur Wärter/innen, aber kaum medizinische Pflegekräfte.
1836 gründete Fliedner daher eine „Bildungsanstalt für evangelische Pflegerinnen“.
So entstanden die evangelischen Diakonissen. Sie arbeiten als Kranken-schwestenr in Krankenhäusern und leisten als Gemeindeschwestern Sozialarbeit vor Ort.
Thoedor Fliedners Portrait im Blendfenster wurde 2004 restauriert.
Im rechten Blendfenster ist Johann Hinrich Wichern (1808 – 1881) zu sehen.
Dieser Hamburger Theologe hat das sog. Rauhe Haus gegründet, wo er Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen aufnahm und für ihre Ausbildung sorgte.
Im Hamburger Rauhen Haus hing auch der erste Adventskranz, als dessen Erfinder Wichern gilt.
1848 gründete Wichern in Hamburg die erste deutsche Stadtmission – eine wichtige Anlaufstelle für Haftentlassene, Arbeits- und Obdachlose sowie für alleinstehende Frauen zum Schutz vor der Prostitution.
Die Statdmission gibt es heute noch.
Johann Hinrich Wicherns Portrait im Blendfenster wurde ebenfalls 2004 restauriert.
Die Orgel
Die Stephanuskirche hat immer noch die Original-Orgel, die hier 1904 eingebaut worden ist. Sie hat rund 15.500 Goldmark gekostet – das sind umgerechnet über 80.000 Euro.
Das Instrument stammt von der Orgelbaufirma Schlag & Söhne in Schlesien und war vor dem Einbau bereits auf der Ausstellung für Handwerk und Kunstgewerbe in Breslau gezeigt worden.
Es ist die einzige Orgel, die in Berlin von dieser Firma noch erhalten ist.
Deshalb steht sie auch unter Denkmalschutz.
Die Orgel hat drei Manuale und 41 Register.
1971 hat man sie mit einer elektrischen Tastatur ausgestattet.
Die Sandsteinfiguren auf den Säulen